Weihnachten
Bedeutung der Weihnachtsgeschichte(n)
Die einzigen Texte der Bibel über die Geburt und Kindheit Jesu sind als Legenden zu verstehen und werden vom Matthäus- und Lukasevangelium überliefert (Lk. 2, 1-21 und Mt. 1,18.25 sowie die Geschichte der Anbetung durch die Sterndeuter in Mt. 2, 1-12). Diese Kindheitsgeschichten gehören zu den späten Texten des Neuen Testaments und gehen aus von der christologischen Durchdringung des Heilsgeschehens um Kreuz und Auferstehung, die versucht, die Frage nach Jesu Leben als Mensch unter Menschen zu klären.
Insofern kann die theologische Deutung der Weihnachtsgeschichten nur vom leeren Grab aus geschehen, denn es wird vom Glauben an den Auferstandenen aus nach seiner irdischen Existenz, sogar darüber hinaus in die Präexistenz gefragt (zum Beispiel bei Joh. 1 ).
Dies gestalten die beiden Evangelien mit unterschiedlichen theologischen Akzenten, jedoch beide im Rahmen narrativer (erzählender) Entfaltung, um das spätere Wirken und die Verkündigung Jesu mit den Geschichten der Geburt und Kindheit Jesu in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen.
Historisch sind die Texte also nicht zu verstehen, schon gar nicht in biografischer Echtheit. Am Beispiel des Geburtsortes Bethlehem, den beide Evangelisten angeben, lässt sich dies deutlich machen. So nennt Lukas den Zensus des römischen Kaisers (der historisch nicht nachweisbar ist, aber in die Politik des Augustus passen könnte) als Grund für die Reise Josefs von Nazareth und der schwangeren Maria nach Bethlehem als Heimatstadt Josefs. Bethlehem ist in der Tradition bereits vorgegeben, als „Stadt Davids“, aus der der Messias kommen wird.
Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas
Die Geburtsgeschichte Lk.2, 1-21 gehört zentral in die Komposition der lukanischen Kindheitserzählungen, die das erste und zweite Kapitel des Evangeliums ausmachen. In ihr klingen die wichtigsten Themen, Motive und Intentionen des nachfolgenden Evangeliums schon an.
Die beiden Menschen, die auf erzwungener Wanderschaft und unter erbärmlichen äußeren Umständen Eltern werden, die Geburt im Stall, das neugeborene Kind in einer Krippe, aus der gewöhnlich die Tiere fressen, die Botschaft des Engels an die Hirten als einfachen und am Rande der Gesellschaft stehenden Menschen – hiermit macht Lukas bereits quasi wie in einer Ouvertüre seines Evangeliums deutlich, wie er das Geschehen um Jesus als Heilsgeschehen allgemeinen Ausmaßes (darum auch die Volkszählung als Verankerung im weltgeschichtlichen Bereich) interpretiert. Denn gerade im Lukasevangelium ist Jesus der Retter, der sich den Armen, Ausgestoßenen und Verachteten zuwendet (7,36; 18.9-14; 19,1-10) und sie seligpreist (Lk. 6,20). Gottes rettendes Handeln an seinem Volk wird sich fortsetzen und alle die mit einbeziehen, die an ihn glauben. Deutlich macht das der Engel mit der Nachricht an die Hirten, die als erste den mit dem neugeborenen Kind in die Welt gekommenen himmlischen Frieden empfangen, erfahren und weitersagen. Das „Ausbreiten“ und Weitersagen der frohen Botschaft (Lk. 2,17f) zielt damit auf die gegenwärtige und zukünftige Gemeinde, in die sich auch der gegenwärtige Hörer des Evangeliums eingeschlossen fühlen kann - möglicherweise ist dies sogar explizit festzumachen an V. 11: „Denn euch ist heute der Heiland geboren…“.
Die Weihnachtsgeschichte nach Matthäus
Matthäus´ Geburtsgeschichte in Mt. 1, 18-25 verfolgt eigene theologische Absichten und ist eng mit dem vorangehenden Stammbaum und den folgenden Kapiteln verbunden.
Dabei nimmt der Evangelist in wichtigen Aspekten Bezug auf das Alte Testament, so in der Darstellung der Jungfrauengeburt (zu Jes. 7,14), im Hinweis auf die Verheißung des Messias aus dem Hause und Geschlechte Davids (deshalb der Stammbaum, der dies versucht nachzuweisen) und letztlich die Geschichte von den sterndeutenden Weisen aus dem Morgenland, die den Messias sehen und anbeten wollen, der in Bethlehem, der Stadt Davids (Mi 5,1) geboren wird.
Dieser Geschichte folgt die Flucht Josefs und seiner Familie nach Ägypten, der bethlehemitische Kindermord durch Herodes und die Rückkehr nach Nazareth. Hier greift Matthäus antike Motive auf, vor allem in Bezug auf Rettung und Bewahrung eines in irgendeiner Form herausgehobenen Kindes, wobei die Parallele zu Mose deutlich wird. Zentraler Gedanke bei Matthäus ist die Zusage Gottes, für die Menschen „da“ zu sein, wie es im brennenden Dornbusch Mose gegenüber bereits anklingt. So legt der Evangelist Wert auf die wörtliche Übersetzung und Auslegung des Namens Jesus (Gott rettet) und verknüpft dies mit einem Zitat aus Jes. 7, 14 („… und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt „Gott mit uns“.). Diese Interpretation zieht sich durch das ganze Evangelium. Beeindruckend ist jedoch die Rahmung des Evangeliums durch diese Zusage in 1,23 und 28,20. So steht das „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ als Schlusspunkt des Evangeliums.
Die Bedeutung der Weihnachtsgeschichten
Die Tatsache, dass die Kindheitsgeschichten nicht als historische Fakten, sondern als theologisch motivierte Glaubenszeugnisse in narrativem Rahmen zu verstehen sind, fordert geradezu dazu auf, sich auf ihren Kerngehalt und ihre Aussage einzulassen, denn die literarische Zuordnung der matthäischen und lukanischen Weihnachtsgeschichten zur Gattung der Personallegenden mindert ihre Bedeutung nicht, entwertet sie nicht, sondern lässt sie im Gegenteil transparent werden für das Eigentliche, was sowohl Lukas als auch Matthäus mit ihren Glaubensgeschichten ausdrücken wollen: die Erfahrungen mit Jesus Christus als Bekenntnis und theologische Wahrheit.
Dabei konnten diese Geschichten, die menschliche Grunderfahrungen von Unterdrückung, Leid, Hoffnung und Geborgensein aufgreifen und sie in Gottes Heilsperspektive hineinnehmen, zu Erfahrungsgeschichten derer, die sie hörten und hören, werden. Sie laden gewissermaßen dazu ein, sich in sie hineinzubegeben und sie auf diese Weise mit eigenen Erfahrungen anzureichern. Dies erklärt, dass sie zu christlichen Grundgeschichten geworden sind, die in die jeweils eigene Gegenwart hinein erzählt wurden.
Weihnachten dabei wie die Evangelisten von Kreuz und Auferstehung her zu deuten eröffnet den Sinn des Festes weitab von allen Klischees und unkritischen Überlagerungen.
Das „Fürchtet euch nicht!“ aus Lk. 2, 10 verbindet sich so mit dem „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“ aus Mt. 28,20 und bleibt die Zusage des Gottes, der den Menschen erbarmend und mitleidend nahekommt in der Krippe und am Kreuz und ihnen die Perspektive des leeren Grabes als Zukunftshoffnung jenseits von Angst und Einsamkeit, Leid und Tod eröffnet.